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Spanien ist das Beste! Zu Besuch beim "El Clasico" in Madrid - Fritten, Fussball & Bier
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Spanien ist das Beste! Zu Besuch beim „El Clasico“ in Madrid

Hier schreibt Mark Scheppert eine Kolumne oder sagen wir mal seine Erlebnisse für Fritten, Fussball & Bier auf. Mark Scheppert ist der Autor der wunderbaren Bücher „90 Minuten Südamerika“ und „Mauergewinner“ und ist im Netz unter www.markscheppert.de zu finden.

Seit zehn Minuten hört man die Feuerzeuge weit entfernt klicken. Seit zehn Minuten vernimmt man lediglich Seufzer, tief und steil unter uns. Seit zehn Minuten spielt nur noch ein Team – so zauberhaft, dass sie 80.000 Menschen zum Schweigen gebracht haben. Barcelona führt mit 3:1. Ehrfürchtig-staunende Stille im Opernhaus der spanischen Liga. Was für ein Augenblick im Estadio Santiago Bernabéu!

Im Sommer 2011 hatte mich Göte ganz beiläufig gefragt, zu welchem Spiel im Klubfußball ich einmal im Leben gehen würde, wenn Geld keine Rolle spielen würde. Meine Antwort war wie aus der Pistole geschossen gekommen. Bei der Party zu meinem Geburtstag hatte ich das Gespräch längst vergessen, doch auf dem Gutschein, den er mir grinsend überreichte, stand es schwarz auf weiß: Real gegen Barça. Ein Ticket für den “El Clasico” – für „mein“ Spiel der der Spiele. Galaktisch!

Drei Tage nach unserer Halbfinal-Niederlage 2010 war ich das letzte Mal in Madrid gewesen. Ich wollte damals dem Hochgefühl hinterher fliegen, konnte nicht akzeptieren, dass diese Fußball-WM schon vorüber war. Das markdurchdringende Kreischen nach dem Tor von Iniesta werde ich nie wieder im Leben hören. Spanien wird eben nur einmal zum ersten Mal Fußball-Weltmeister.

Als ich am 9.12.2011 in die Stadt zurückkehre, habe ich keine Zeit in alten Erinnerungen zu schwelgen. Ich treffe meine Freunde und vom ersten Moment an sind wir das alte eingeschworene Team. Wir sind wieder unterwegs. Ohne Frauen, ohne Arbeitsstress – ohne Sorgen. Es gibt nur uns und den morgigen „Clasico“!  Und natürlich die einladenden Bars an jeder zweiten Straßenecke. In Madrid bleibt man nicht ewig in einer Kneipe hängen. Einer bezahlt eine Runde Cervezas, man genießt die kostenlosen Tapas, quatscht, lacht und schon zieht man weiter. Wenn alle einen ausgegeben haben, geht man glücklich und brav zurück ins Hotel. Wir sind glücklich – aber nicht brav.

Schon am Tag vor dem Spiel ist die Anspannung in der Stadt greifbar. Am Kiosk gibt es sieben Tageszeitungen, die auf der Titelseite das Match thematisieren, in den Bars laufen ununterbrochen Vorberichte im TV und auch die Einheimischen kennen fast kein anderes Thema mehr. Wir lernen wir drei Real-Ultras kennen, eigentlich Peñas, wie die Fangruppen hier heißen. Natürlich verquatscht sich Matze und erzählt deren Chef, dass ich auf Barcelona stehe. Okay, das stimmt. Nein, nicht erst seit den letzten Jubeljahren. Meine Freundin wohnte 1999 in der katalanischen Metropole. Ich fand die Stadt, das Nou Camp und Barça geil. Auch im Ausland kann einem also ein Team übergeholfen werden. In Südamerika wurde mir, immer wenn ich das kaminrot-blaue Shirt trug, „Messi” hinterher gebrüllt. Den unglaublichen Jungen einmal gegen Real live spielen zu sehen, gehörte schon seit Langem zu den „100 things to do before I die”.

Der breitschultrige Real-Typ (Peña bedeutet übrigens „Felsen“) versteht das sogar, macht mir aber klar, dass zumindest in seinem Block deren Trikot nicht so gern gesehen werde. Ich habe meines sogar dabei, doch auch ich weiß, dass in Spanien nur wenige Fans zu Auswärtsspielen fahren. Das morgige Match verspricht, dass man für die falschen Vereinsfarben von sehr vielen Menschen aufs Maul bekommt. Zwei Tequilla später erzähle ich ihm, dass ich irgendwie auch Özil und Khedira die Daumen drücke. Der Felsen nickt nur. Langsam spüre ich, dass ich ziemlich abgeräumt bin. Auf unserem Weg hatte ich zuletzt allen Leuten, vor allen den Chicas, dümmlich grinsend zugewinkt. Matze und Jenna machen sich über mich lustig. Allerdings auch über Götes tief-schwarzen Augenringe und sein aufgeschwemmtes Gesicht.

Wir laufen zu einem Club in den ich normalerweise nicht hineingehen würde. Gesichtskontrolle! Matze ist schon drin, als Jenna feststellt, dass er seinen Geldbeutel irgendwo liegen lassen hat. Zudem erklärt er uns, was die Tante am Einlass – frei übersetzt – gesagt hätte: Er und Matze dürften rein, aber ich, der „Winker-Ossi” und „der kleine Pandabär” (Göte) kämen nicht durch diese Tür. Fünf Minuten später wird Matze zurück auf die Straße gestoßen. Seinen rechten Arm ziert ein breiter Stempel. „Pues No“ (auf keinen Fall) steht dort. Er hatte da drin wohl zu offensichtlich Drogen konsumieren wollen. Auch für ihn ist der Club somit tabu.

Auf dem Weg zum Hotel findet Jenna seine Börse wieder. Von Glücksgefühlen übermannt, kauft er beim Straßenhändler etliche Dosenbiere. Unsere „Real-Freunde“ tauchen plötzlich wieder auf und ich versuche etwas klarzustellen:  Ich bin kein Real-Fan! Wie jeder Ossi hatte ich früher einen Zweitverein im Westen, zu dem ich hielt. Bei mir war das Gladbach gewesen. Als die 1985 nach einem grandiosen 5:1 im Hinspiel gegen Madrid dann doch noch aus dem UEFA-Cup flogen (0:4), lag ich nachts auf der elterlichen Wohnzimmercouch und heulte. Seither gab es eigentlich nur noch einen königlichen Spieler, den ich halbwegs sympathisch fand: Ronaldo – jener der „uns” das WM-Finale 2002 versaut hatte. Besonders mit Zidane und Beckham konnte ich nie etwas anfangen. Deren jetziger Superstar CR7 (Christiano Ronaldo) vereinigt exakt die Eigenschaften der genannten Spieler: Talent, Arroganz und Schnöselhaftigkeit. Die Real-Typen verstehen mein Gelalle zum Glück nicht und die anderen zerren mich weiter.

Matze weckt mich um 11 Uhr, da ich unbedingt mit dabei sein wollte, wenn er die Tickets abholt. Die Geschichte klang ziemlich dubios. Der Kerl, der uns an der Rezeption empfängt, wirkt allerdings seriös und lacht als er uns sieht. Wir müssen total fertig aussehen – und fühlen uns auch so.  Mit einem Taxi bringt er uns zum „Holiday Inn” in der Nähe des Bernabéu. Neben dem Foyer gibt es einen Raum in den sich unzählige Menschen aus aller Herren Länder drängeln. In einem Umschlag erhält Matze sechs blau weiße Plastikkarten und muss seinen Ausweis als Pfand hinterlegen. An einem Buffet werden kleine Schnittchen und Sekt kredenzt. Das scheint hier ein ganz normales Business zu sein. Etliche – vermutlich hunderte -  Jahreskartenbesitzer geben ihre Tickets zu Spielen über einen Vermittler ab und sahnen dann kräftig ab. Nur so ist es auch für „Normalsterbliche” möglich, den „Clasico“ zu sehen. Mein Freund verrät mir nun sogar, dass die Tickets 400,- € kosten. Für eine 90minütige Sportveranstaltung ist das natürlich happig, aber auch ein IPhone, ein Plasma-TV oder eine IKEA-Schrankwand kosten viel Kohle – der „Clasico“ ist Kopfkino für die Ewigkeit.

Wir hatten beschlossen uns erst um 18 Uhr zu treffen, um halbwegs nüchtern ins Stadion zu gelangen. Kollektives Schnapsverbot! Nach nur drei Bieren steigen wir in die U-Bahn. Dennoch sehen wir beim Abmarsch mit unseren verquollenen weißen Gesichtern und den dunklen Augenrändern wie eine lustige „Pandabärenfamilie“ aus.  Ich kenne das Santiago Bernabéu bereits von außen und weiß, an welcher Ecke es zum ersten Mal erscheint. Doch heute sieht der hell erleuchte alte Betonklotz im Nieselregen viel noch beeindruckender aus. Wir wundern uns, wie ruhig und gesittet die Leute zum Stadion laufen. Es begegnen uns keine grölenden Suffköpfe oder aggressive Prolls. Wir sehen keine Absperrungen, die verfeindete Fans voneinander trennen sollen. Nicht einmal sonderlich viel Polizei scheint anwesend zu sein. Es gibt hier keine besorgten Väter mit Panik in den Augen und keine jungen Frauen, die auf das Match aus Angst vor Randale und Pfefferspray verzichten. Vielleicht werde ich allmählich alt, denn ich finde das alles unglaublich beruhigend und angenehm.  Während Matze die Plastiktickets verteilt, frage ich Göte, zu welchem Eingang wir müssen. „Ich bin doch keine Infosäule“, antwortet er genervt. Auf unseren Karten steht „Torre A“ und es gelingt uns, einmal ums komplette Stadion zu latschen, um letztendlich wieder dort zu stehen, wo wir soeben waren: vor Tor A!

Obwohl die ungewollte Führung nicht uninteressant war, haben wir jetzt nur noch wenig Zeit. Jenna und ich möchten noch schnell ein paar Fotos machen. Als mein Freund seine Kamera aus der Jacke holt, sehe ich, wie etwas zu Boden fällt. Unbemerkt stecke ich die Eintrittskarte ein und beobachte amüsiert, wie er vor dem Dreckkreuz extrem ins Schwitzen gerät. Götes Gesichtsfarbe wechselt augenblicklich ins gräuliche, als er erfährt, dass Jenna scheinbar die Jahreskarte verloren hat. „Bist du bescheuert oder was?“, brüllt Matze bevor ich die Sache aufklären kann. Erleichtert betreten wir einen der bedeutendsten Fußballtempel der Welt.  Nach unzähligen Stufen und Rolltreppen erreichen wir unsere Plätze im dritten Oberrang. Als wir endlich ankommen, ertönt schon die opernartige Vereinshymne. 80.000 Menschen lassen das Oval im weißen Fahnenmeer versinken und singen „Hala Madrid“ (Auf Madrid). Ein saublödes Wort, aber: Gänsehautatmosphäre!

Kurz zuvor hatten sie die Aufstellung verkündet.

Ich bin Deutschland-Fan. Obwohl meine Beziehung zur Nationalmannschaft 1990 ablehnend begann, endete sie letztendlich in euphorischer Begeisterung. Und nun spielen zwei Deutsche bei Real. Gerade die bunte Mischung mit Spielern wie Özil und Khedira hatte unser Land bei der letzten WM mit so viel Charme repräsentiert, dass „wir“ weltweit viele neue Anhänger gewonnen haben. Was soll ich machen? „Cor blaugrana“ (blaurotes Herz) oder schwarz-rot-goldenes? Mesut spielt, Sami ist draußen und ich trage unter meiner Jacke ein Deutschlandtrikot.

Eigentlich will ich den Anstoß filmen, doch irgendwie geht alles viel zu schnell und als ich meine Kamera endlich in der Hand halte, erschallt ein Schrei durchs Stadion. Wie eine Welle breitet sich der Jubel aus – zunächst ungläubig staunend und dann fast so ohrenbetäubend laut wie bei Spaniens WM-Triumph 2010. Benzema hatte nach 22 Sekunden für Real getroffen. Unsere Sitznachbarn schütteln fassungslos die Köpfe, doch dann sehe ich das Leuchten in ihren Augen. Ein Leuchten, das zu sagen scheint: „Auf Madrid! Heute hauen wir „Puta“ Barça richtig weg!“

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=SMK3A8j3DEk[/youtube]

Hinter dem Tor beginnen ganz in schwarz gekleidete Peñas ein Lied anzustimmen: „Y viva España“. Sie wollen dem winzigen Barça-Fanblock zeigen: Wir sind Spanier und sind, im Gegensatz zu euch, stolz auf dieses Land.
Doch Barcelona erholt sich relativ schnell von dem Schock und beginnt zu zaubern. Endlich kann ich das magische Dreieck Xavi, Iniesta und Messi einmal live bewundern. Doch nein, es sind nicht nur diese drei Spieler, welche die womöglich zweitbeste Mannschaft der Welt gerade schwindlig spielen. Von hier oben sieht man, im Gegensatz zum TV, wie sie millimetergenau passen, wie die Laufwege sind und wie sie die taktische Ordnung einhalten. Es ist eine magische Elf! Traumzuspiel von Messi und Sánchez trifft platziert zum 1:1. Halbzeitpause. Atempause. Zeit für Beweisfotos. Natürlich lasse ich mich im Deutschlandtrikot vor der riesigen Arena fotografieren. Als ich mich wieder angezogen habe, schreit Matze: „Scheppi, noch eins mit der hier“, und wirft mir eine Deutschlandfahne zu. Ich breite sie vor meinem Körper aus und warte darauf, dass Jenna abdrückt. Doch die Jungs biegen sich vor Lachen und auch etliche Spanier zeigen grinsend mit dem Finger auf mich. Ich schaue an mir herab und sehe, dass sie mich verarscht hatten. Wo haben sie die denn her? In meinen Händen halte ich eine DDR-Fahne.

Auf unseren Touren ist es stets so, dass, wenn jemand in ein Fettnäpfchen getreten war, mit dem Salzstreuer nachgewürzt wurde. An diesem Wochenende ist Göte der „kleine Panda“, Jenna der „Allesverlierer“, Matze heißt „Pues No“ und ich bin eben der „Winker-Ossi“. Ich kann damit leben und dies ist kein saublöder Satz: Der Mauerfall war für mich wichtigste Ereignis meines Lebens! Angesichts dieses Spieles wird einem so etwas manchmal auch nach über 20 Jahren noch bewusst!

Nach der Pause spielt fast nur noch Barcelona und folgerichtig fällt das, wenn auch glückliche, 1:2 durch Xavi. Wenig später könnte – müsste – der schöne CR7 freistehend per Kopf ausgleichen, doch er versagt kläglich und fast im Gegenzug erzielen die kleinen außergalaktischen R2-D2´s, um ihren genialen LM10 (Leo Messi) das Spiel entscheidende 1:3. Fábregas trifft in seinem ersten „Clasico“.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=ZVWj-ML1r7I[/youtube]

Seit zehn Minuten hört man die Feuerzeuge weit entfernt klicken. Seit zehn Minuten vernimmt man lediglich Seufzer, tief und steil unter uns. Seit zehn Minuten spielt nur noch ein Team – so zauberhaft, dass sie 80.000 Menschen zum Schweigen gebracht haben. Ehrfürchtig-staunende Stille im Opernhaus der spanischen Liga. Aber es ist nicht der (!) Augenblick im Estadio Santiago Bernabéu. Kurz vor Schluss wird Iniesta ausgewechselt. Wie ein blassgesichtiger Pantomime war er das gesamte Match spielerisch durch die Reihen des Gegners getänzelt. Es gibt vereinzelte Pfiffe, doch unzählige Real-Fans stehen plötzlich auch auf und spenden Applaus. Sie hatten – und werden – niemals vergessen, dass genau dieser Spieler ihr Land 2010 zum Titel geschossen hatte. In einer Ecke des Stadions ertönt wieder das Lied, welches im Deutschen „Eviva España“ heißt. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Spieler des Gegners so gewürdigt wird und wie sehr würde ich mir wünschen, wenn es nach der WM 2014 in allen deutschen Stadien „Standing Ovations“ für den Torschützen gäbe, dem wir den Weltpokal zu verdanken haben.

Die letzte Zeile von „Y viva España“ lautet übrigens: „España es la mejor“ (Spanien ist das Beste). Ich stimme dem zu. Die spanische Nationalmannschaft und das (wenn auch katalanische) Barcelona sind momentan das Beste, was es im Weltfußball gibt.

Text, Bilder & Videos von Mark Scheppert

Mark Scheppert
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