Das große Chaos um die Sportgerichtsbarkeit…
Jean-Marc Bosman war Verantwortlich für einen Umbruch im Profifussball weltweit. Christian Constantin, der Präsident des Schweizer Erstligisten FC Sion, könnte jetzt ebenfalls eine tragende Rolle in der Fussballgeschichte zu Teil werden und das nur, weil er sich nicht dem Schweizer Fussballverband und der UEFA beugen möchte. Verlieren kann er dabei nicht viel, denn für ihn bzw. für seinen Verein kann es nicht wirklich viel schlimmer kommen, als es jetzt schon ist. Gewinnen kann er dagegen viel, nämlich viel Geld als Schadensersatz und die große Freiheit im Sportgeschäft. Für die UEFA dagegen geht es nur um Schadensbegrenzung, denn gewinnen können sie bei diesem Fall eigentlich nichts.
Ich bin sicher, dass wir am Ende recht bekommen. (Christian Constantin, Präsident des FC Sion)
Aber müssen sie überhaupt Recht bekommen? Oder ist es vielleicht für den Fußball sogar besser, wenn die UEFA verliert und es damit zu einem reinigenden Gewitter im Profifußball kommt? Diese Frage stelle ich hier zwar in den Raum, aber wir werden sie nicht beantworten, denn ich bin der Meinung, man kann sie einfach nicht beantworten. Vielleicht kann sie jeder für sich beantworten, nachdem wir uns die ganze Geschichte einmal angeschaut haben. Begonnen hat alles im Frühjahr 2008, also vor mehr als 3 Jahren. Damals verpflichtete der Schweizer Fußballverein FC Sion den ägyptischen Nationaltorwart Essam El-Hadary und das obwohl dieser einen gültigen Vertrag mit dem Verein Al-Ahly hatte. Für die „Anstiftung zum Vertragsbruch“ bekam der FC Sion im Juni 2009 von der FIFA eine Transfersperre über ein Jahr aufgebrummt und gleichzeitig keine Spielerlaubnis für El-Hadary. Diese aber holt sich Präsident Christian Constantin höchstpersönlich vor einem Zivilgericht und genau damit beginnt die die Geschichte erst richtig. Die UEFA und auch die FIFA fühlen sich seitdem hintergangen, denn bisher gab es so etwas wie ein Gentleman Agreemant im Profifußball, die besagt, dass Streitigkeiten immer vor einem Sportgericht ausgetragen werden und man die Entscheidungen des Sportgerichts CAS auch akzeptiert. Der FC Sion allerdings geht mit seinem Fall vor ein normales Zivilgericht und das entscheidet prompt entgegen der vorherigen Entscheidung des Sportgerichts für den FC Sion und erteilt damit eine Spielgenehmigung für Essam Al-Ahly.
Kurz darauf wurde allerdings schon eine Runde in diesem Machtkampf zwischen der UEFA und dem FC Sion in Person Christian Constantin eröffnet, denn trotz des Transferverbots holte der FC Sion sechs neue Spieler und so ganz nebenbei erwähnt, man gab den Anstoss des ganzen Streits, Essam Al-Ahly, wieder ab, da er einfach nicht den Ansprüchen des FC Sion genügte. Die neuen sechs Spieler allerdings bekamen vom Schweizer Verband keine Spielgenehmigung, was dem FC Sion wiederum relativ egal war, denn Präsident Christian Constantin war der Auffassung, dass die Transfersperre nur den Verein selber betreffe. Die Profis allerdings laufen, wie heute so oft üblich, zwar unter dem Vereinsnamen auf, sind aber Angestellte der Aktiengesellschaft „Olympique des Alpes“. Die wiederrum, so Christian Constantin, sei dafür verantwortlich, wenn der Verein eine Transfersperre erhalten habe und von daher sei die Sperre auch bereits abgelaufen. Ein Zivilgericht, was Christian Constantin anrief, entscheidet auch dieses mal für ihn und vergibt an den FC Sion eine „superprovisorische Genehmigung“. Um das Chaos dann perfekt zu machen, beschließen alle Gegner des FC Sion, egal ob im Pokal, im Europacup oder in der Schweizer Liga, dass sie nur noch unter Protest gegen den FC Sion antreten.
Die UEFA allerdings ging gleich noch einen Schritt weiter und schloss den FC Sion, trotz sportlich erfolgreicher Qualifikation zur Gruppenphase der Europa League, aufgrund des „Einsatzes nicht Spielberechtigter Profis“ von der Europa League aus. Damit wurde so ganz nebenbei auch noch eine Schlammschlacht ausgelöst zwischen Christian Constantin, dem CAS, der UEFA und neuerdings auch der FIFA. Natürlich alles ausgetragen über die Presse, aber das lassen wir jetzt mal, das kann sich jeder selber recherchieren. Nur so viel, die Situation ist festgefahren, Verhandlungen finden nicht mehr direkt statt, nur noch über Anwälte und Gerichte. Nachgeben will jedoch keiner und das hat Folgen. Ein weiteres Zivilgericht, nun in einer Berufungsverhandlung angerufen vom Schweizer Verband, kassiert die „superprovisorische Genehmigung“ wieder ein und sperrte damit rückwirkend die sechs neuen Spieler. Die allerdings hatten zu diesem Zeitpunkt schon etliche Spiele für den FC Sion bestritten und damit für noch mehr Chaos gesorgt, denn etliche unter Protest angetretene Gegner des FC Sion wollen sich jetzt vor Gericht einen Sieg erstreiten und sie könnten damit auch Erfolg haben. Absehbar ist damit natürlich auch, dass die Schweizer Meisterschaft nicht sportlich entschieden werden wird sondern vor Gericht. Wer also in dieser Saison Meister wird, wird sich vermutlich nicht schon zum Saisonende herausstellen, sondern erst, wenn alle Gerichtsverhandlungen abgeschlossen sind. Das allerdings kann dauern, denn es gibt da ja noch mehr zu verhandeln als nur diese paar Spiele…
Zum Beispiel muss auch noch entschieden werden, wie man wie es denn jetzt in der Gruppenphase der Europa League weitergeht. Der FC Sion will seinen vor Gericht verlorenen Platz wieder zurück und diesen Notfalls vor einem Zivilgericht auch einklagen. Da allerdings will die UEFA nicht mitspielen, denn das würde ja bedeuten, dass alle bisher gespielten Spiele, also die komplette Gruppenphase gelinde gesagt, fürn Arsch gewesen wäre. Um aber nicht ganz blank dazustehen, arbeitet man bei der UEFA schon einem provisorischen Spielplan. Wie dieser dann aussehen wird, weiß man nicht genau. Spekulationen und Gerüchten zufolge will man den FC Sion als zusätzliches Team nachträglich noch die Gruppenphase integrieren oder einfach nur Spiele wiederholen lassen.Und nebenbei wurde UEFA-Präsident Michel Platini vom FC Sion auch noch strafrechtlich verklagt und muss ich jetzt auch noch vor Gericht verantworten. Und auch noch so nebenbei will der FC Sion jetzt 10 Millionen Euro Schadensersatz und zwar nicht vom Schweizer Verband, sondern vom französischen. Der hat sich nämlich genauso wie der schweizerische den Anordnungen der Gerichte widersetzt und das lässt sich Christian Constantin nicht bieten. Um das Chaos jetzt so kurz vor Weihnachten noch perfekter zu machen es es sowieso schon ist, hat sich die FIFA direkt eingeschaltet und dem Schweizer Verband den sofortigen Ausschluss aus der FIFA angedroht, wenn bis zum 14. Januar 2012 der Fall nicht geklärt ist. Klärung bedeutet übrigens in diesem Fall, dass der FC Sion alle Spiele, in dem die nicht spielberechtigten Spieler zum Einsatz gekommen sind, als verloren gewertet werden müssen. Sollte diese Frist nicht eingehalten werden oder der SFV nicht zu 100% kooperieren, dann würde der Schweizer Verband mit sofortiger Wirkung suspendiert, was wiederrum den sofortigen Verlust aller internationaler Startplätze zur Folge hätte. Anders gesagt, der FC Bayern München würde im Achtelfinale der Champions League vielleicht dann doch nicht auf den FC Basel treffen…
Wird diese Frist nicht eingehalten, wird der SFV automatisch suspendiert. (FIFA Mitteilung, Dezember 2012)
Für die UEFA und für die FIFA ist mit diesem Streitigkeiten ein ganz großes Problem entstanden, denn auf einen Schlag entscheiden nicht mehr Instanzen wieder Internationale Sportgerichtshofes (CAS), sondern Zivilgerichte. Der Fußballsport allerdings basiert auf dem Prinzip der „Unantastbarkeit der Sportgerichtsbarkeit“, die ihre eigenen Regeln und Prinzipien hat. Oftmals stehen die Entscheidungen des CAS deswegen in der Kritik. Verliert die FIFA allerdings jetzt die Macht über die Sportgerichtsbarkeit bzw. werden dessen Entscheidungen nicht mehr anerkannt, dann werden in der Zukunft normale, zivile Gerichte über Transfers, rote Karten, Spiele und auch über ganze Meisterschaften entscheiden. Das kann oftmals böse enden, denn die zivile Gerichte funktionieren nach den Gesetzen des normalen Lebens während die Sportgerichte sich auf ihre eigenen Regeln berufen. Davor haben aber alles Sportverbände Angst, denn damit verlieren sie an Macht und Einfluss und können nicht mehr willkürlich ihre Entscheidungen treffen. Außerdem haben sie Angst, dass das Chaos in Zukunft noch größer wird, denn jeder könnte jeden verklagen und damit z.B. die Meisterschaft 2018/2019 erst nach vielen Gerichtsverhandlungen endgültig erst im Jahr 2030 entscheiden. Sportlich würde damit vieles in den Hintergrund treten…
Ãœbrigens, Christian Constantin hat sein Ziel auch schon formuliert. Er will nach vielen Verhandlungen vor kleinen und mittleren Gerichten vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und sich dort eine weltweit gültige Grundsatzeinscheidung erkämpfen. Helfen soll ihm dabei der Anwalt Jean-Louis Dupont, den man von daher kennt, dass er einen gewissen Jean-Marc Bosman seinerseits sehr erfolgreich gegen die UEFA und gegen die FIFA vertreten hatte…
Moritz
Perfektes Chaos trifft es gut. Wie sich da jetzt zur Jahresendzeit irgendwas entscheiden soll, ist mir schleierhaft.
Wenn es aber tatsächlich so kommt, dass Fußball demnächst nur noch in Gerichten gespielt wird, dann ist es um den Sport geschehen.
Frittenmeister
Und schon geht die ganze Angelegenheit heute in eine neue Runde. Jetzt hat Christian Constantion Strafanzeige gegen die FIFA gestellt…
http://www.tz-online.de/sport/fussball/strafanzeige-gegen-fifa-sion-legt-nach-1535418.html