Fußball-Europameister Dänemark! Ein Rückblick zur Fußball-EM 1992…
Hier schreibt Mark Scheppert eine Kolumne oder sagen wir mal seine Erlebnisse für Fritten, Fussball & Bier auf. Mark Scheppert ist der Autor der wunderbaren Bücher “90 Minuten Südamerika†und “Mauergewinner†und ist im Netz unter www.markscheppert.de zu finden.
„Wart ihr denn schon im Aztekenstadion?“, brüllte mein Vater in den Hörer. Obwohl ich sofort verneinte, plapperte er einfach drauflos und erzählte vom Halbfinale, das vor zwei Tagen stattgefunden hatte. Endlich hätten die Deutschen einmal vernünftig gespielt und wären durch das 3:2 ins Finale der Fußball-EM 1992 gegen Dänemark eingezogen. „Häßler und zweimal Riedle“, berichtete er, als ob das für mich eine Rolle spielte.
„Danke Vater, aber eigentlich wollte ich euch nur sagen, dass ich gut angekommen bin!“ Erstmals wurde mir bewusst, wie gerne mein Vater zur Fußball-WM 1986 nach Mexiko gefahren wäre. Doch den göttlichen Maradona einmal live im Aztekenstadion zu sehen, war ihm nicht vergönnt gewesen. Der Mauerfall kam für ihn ein paar Jahre zu spät.
Mit einem grün-weißen Käfer-Taxi ging es zum Busbahnhof. Auch die Jungs wollten sofort den Pazifik sehen. „Gegen Dänemark?“, sinnierte ich. „Dann werden die jetzt auch noch Europameister. Sollte Beckenbauer also recht behalten, dass die BRD nun auf Jahre hin unbezwingbar wäre.“
Ich entdeckte einen Obststand. Viele der exotischen Früchte hatte ich noch nie zuvor gesehen. „Ist mir doch scheißegal“, murmelte ich vor mich hin. „Was?“, fragte Matze. „Nichts Wichtiges!“
Mein erstes westeuropäisches Reiseziel war Dänemark gewesen. Elli, Göte, Matze und ich hatten im Dezember 1989 am Bahnhof an der alten Anzeigetafel das Reiseziel „Kopenhagen“ entdeckt und spontan entschieden, in den Zug zu steigen. Die Dänen hatten uns mit einer unerwarteten Herzlichkeit und Wärme empfangen und – da wir nur wenig Westgeld mit uns führten – auch mit unzähligen Kronen aus der Patsche geholfen. Allein wegen dieser zwei Tage werde ich ihnen ein Leben lang dankbar sein. Manchmal hätte ich mir sogar gewünscht, dass dieses kleine Land unser Partner bei einer Wiedervereinigung gewesen wäre.
Ein paar Tage später erreichten wir endlich Mazatlán am Pazifischen Ozean. Gleich am ersten Abend lernten wir einen Amerikaner und seine Familie kennen und wurden für den nächsten Tag spontan zum Hochseeangeln eingeladen. Leider war es jedoch am Vorabend bei heißen mexikanischen Rhythmen sehr spät geworden.
Es war 6.20 Uhr als wir die Wohnung verließen. Wir hatten verpennt. „Sag mal, hast du gestern eigentlich alle Touristen gefragt, wie Deutschland gespielt hat?“, wollte Göte im Wagen neben mir wissen. „Mmmh?“, überlegte ich mit schwerem Kopf. „Und du hast jeder zweiten Frau „Te quiero“ ins Ohr gebrüllt“, antwortete ich. Matze freute sich, dass wir uns freuen. „Ich liebe dich“ (Te quiero), „Herz“ (Corazón) und „Aschenbecher“ (Cenicero) konnten wir neben „drei Bier“ (Tres Cervezas) und „Danke“ (Gracias) nun auch schon sagen. Das Finalergebnis der Fußball-EM wusste ich noch immer nicht. Irgendwie interessierte es mich nun doch ein wenig wie das Spiel ausgegangen war.
An der Marina sahen wir einer Yacht hinterher. Unsere Gastgeberin Gabriela rannte zum Hafenmeister und über Funk informiert, kehrte das Boot wieder um. Jimmy grinste etwas säuerlich, während Göte und ich sofort unter Deck verschwanden. Verschwitzt wachte ich wieder auf und schwankte nach oben. Am Heck herrschte hektisches Treiben. Matze saß neben Jimmy auf einem Campingstuhl und umfasste die, im Boden stabilisierte, Angel mit beiden Händen. „Attention! It´s a blue marlin. It´s a big trophy“, brüllte eines der Crewmitglieder aufgeregt. Mit angespanntem Bizeps spulte mein Freund die Sehne immer weiter auf, bevor er sich und dem riesigen Fisch eine kleine Atempause gönnte.
Jimmy wirkte angepisst. Es war der erste Biss am heutigen Tag – ausgerechnet an der Angel, die er meinem Kumpel zuvor großzügig angeboten hatte. Matze hatte ihn jetzt bis kurz vors Boot herangezogen. Mit dem Speer voraus sprang er im Todeskampf immer wieder aus dem Wasser. Sein Oberkörper glänzte kobaltblau, während die Unterseite silbern-weiß schimmerte. Ich ging zu Jimmy hinüber. „This must be the most beautiful fish in the ocean“, flüsterte ich begeistert.
Der Speerfisch hatte nun das Heck erreicht. Der Typ, der das mit der Trophäe gesagt hatte, sprang auf und hämmerte ihm mit einer Baseballkeule auf den Schädel. Zu zweit wuchteten sie ihn schließlich an Bord. Innerhalb weniger Sekunden verlor das Tier sämtliche Farbpigmente und den Glanz seiner Schuppen. Ein fast zwei Meter großer, grauer Fisch lag vor uns auf den Planken. Ernüchtert setzte ich mich zu Abby und Emily, den Töchtern von Jimmy, die ihre Leiber lasziv auf dem Bug bräunten und beschrieb ihnen meine Gefühle. Doch sie schienen mich nicht zu verstehen.
An Land verabschiedeten sich Jimmy, Liz und die Mädels emotionslos von uns und schenkten den Marlin der Fischfabrik. Ich wusste bereits, dass wir sie nie wieder sehen würden. Göte und ich wollten noch ein bisschen am Hafen bleiben und ließen die Beine über die Kaimauer baumeln. Auf einer Yacht nebenan lief „Summer of 69“ von Bryan Adams, als zwei Typen quatschend an uns vorbei gingen. Ich drehte mich um. „Das war doch Deutsch!“, dachte ich und rief die beiden zurück: „Wisst ihr zufällig wie das Finale ausgegangen ist?“ Sie schienen zu verstehen. „2:0“, sagte der eine und fügte hinzu: „Aber Achtung! Für Dänemark.“ Ich schaute an meinen Füßen herab. Das Meer funkelte in der Sonne, wo es gegen die Steine der Mauer schlug. Exotische Muscheln klebten an den Wänden und bunte Fische waren zu sehen. Was würde ich vom Sommer 1992 aufbewahren? Dass in jener Zeit eine Fußball-EM stattgefunden hatte? Aus dem Radio nebenan erklang der Refrain „Those were the best days of my life“, doch ich ahnte, dass die besten Tage meines Lebens noch vor mir lagen.
Auszug aus dem Fußball- und Reiseroman: „90 Minuten Südamerika“